04.01.2008
 

CDU-Minister Laschet

"Jugendstrafrecht ist keine Kuschelpädagogik"

Hessens Ministerpräsident Koch fordert im Wahlkampf härtere Strafen für kriminelle junge Ausländer. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE widerspricht sein Parteifreund, der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU), und warnt vor politischen Schnellschüssen.

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SPIEGEL ONLINE: Seit dem brutalen Überfall zweier Jugendlicher auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn debattiert die Republik wieder über Jugendgewalt. In Hessen hat Roland Koch den Kampf gegen "kriminelle junge Ausländer" zum zentralen Wahlkampfthema erhoben. Wie empfinden Sie den bisherigen Verlauf der Debatte?

Laschet: Jugendgewalt ist natürlich keine ethnische Frage. Ein ausländischer Jugendlicher ist nicht per se gewalttätiger als ein deutscher Jugendlicher. Es hängt davon ab, wie perspektivlos einer ist und welche Bildungschancen er hat. Kinder mit Zuwanderungsgeschichte haben schlechtere Chancen als deutsche Jugendliche, daraus resultiert eine höhere Kriminalitätsrate. Deshalb muss man immer fragen: Was läuft schief in der Schule und im Umfeld? Was kann man ändern?

Zur Person

MARCO-URBAN.DE











Armin Laschet ist Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Laschet ist Jurist und Journalist. Von 1999 bis 2005 war Laschet Mitglied des Europäischen Parlaments, seit 1999 ist er außerdem Vorsitzender des Bundesfachausschusses für Internationale Zusammenarbeit und Menschenrechte der CDU.

SPIEGEL ONLINE: In der Öffentlichkeit wird weniger über Prävention als über härtere Strafen diskutiert.

Laschet: Es ist immer das gleiche Muster: Irgendwo passiert etwas, und sofort bricht eine wilde Diskussion los. Alle Parteien überbieten sich mit schnellen Lösungen. Das erleben Sie bei jedem Amokläufer. Wenn der Amokläufer von Erfurt ein Türke gewesen wäre, hätten wir eine Integrationsdebatte gehabt. Nur war er Deutscher und ging auf ein Gymnasium, also führen wir stattdessen eine Debatte über Computerspiele. Man sucht die Debatten, wie sie gerade passen. Das ist natürlich nicht sehr sachdienlich.

SPIEGEL ONLINE: Sagen Sie das Ihrem Parteifreund Koch. Es scheint, als griffen gerade Unionspolitiker bei drohendem Machtverlust gern auf den alten konservativen Angstwahlkampf zurück.

Laschet: Den hessischen Wahlkampf kann und will ich nicht bewerten. Unabhängig davon ist Jugendgewalt ein wichtiges Thema, aber es gibt keine schnellen Antworten. Der Zwischenfall in der Münchner U-Bahn ist obendrein nicht einmal typisch. Türkische Jugendliche haben normalerweise viel größeren Respekt vor älteren Menschen als deutsche Jugendliche.

SPIEGEL ONLINE: Müssen Jugendliche härter bestraft werden?

Laschet: Wenn die Gewalt zunimmt, kann man nicht immer nur sagen: Wir brauchen mehr Prävention. Für die Jugendlichen, die auf kein Hilfsangebot mehr ansprechen, muss man sich etwas einfallen lassen. Das haben wir zu wenig gemacht. Aber ich würde nicht generell sagen: mehr bestrafen. Perspektiven schaffen ist das Entscheidende.

SPIEGEL ONLINE: Wie?

Laschet: So eine Debatte kann man nicht aus dem Ärmel schütteln. Da sind langfristige Konzepte erforderlich. Wir haben in Nordrhein-Westfalen schon vor einigen Monaten damit angefangen, das Justizministerium und das Jugend- und Integrationsministerium stärker zu vernetzen. Es gibt viele Möglichkeiten, Jugendhilfe und Bestrafung aufeinander abzustimmen. Ich bin dagegen, jetzt flächendeckend Erziehungslager einzurichten. Camps nach amerikanischem Muster sind falsch. Die verfolgen die Grundphilosophie, erst den Willen des Jugendlichen zu brechen, um ihn dann neu aufzubauen. Das ist kein Modell, was wir in Deutschland brauchen. Wir in Nordrhein-Westfalen haben keine Camps dieser Art und planen auch keine.

SPIEGEL ONLINE: Ist das deutsche Jugendstrafrecht ein "Kuschelvollzug", wie Koch sagt?

Laschet: Das Jugendstrafrecht ist keine Kuschelpädagogik. Im Moment ist es aber so, dass häufig Bewährungsstrafen ausgesprochen werden und der Jugendliche die Konsequenzen seiner Tat gar nicht spürt. Deshalb halte ich den Warnschussarrest für eine interessante Idee: Wer mal zwei Wochen im Knast gesessen hat, überlegt das nächste Mal erst, bevor er wieder zuschlägt.

SPIEGEL ONLINE: Eine weitere Forderung aus Ihrer Partei ist die grundsätzliche Anwendung des Erwachsenenstrafrechts ab 18 Jahren. Bisher können die Gerichte wahlweise auch noch Jugendstrafen für 18- bis 21-Jährige verhängen.

Laschet: Ich halte die bisherige Regel für ausreichend. 40 Prozent der Verurteilungen bei 18-Jährigen werden ja schon nach Erwachsenenstrafrecht gemacht. Man muss sich jeden Einzelfall anschauen.

SPIEGEL ONLINE: In den vergangenen Tagen wurde auch wieder die schnellere Abschiebung krimineller Ausländer gefordert.

Laschet: Abschiebung ist keine Lösung des Problems. In den meisten Fällen geht es schon mal gar nicht: Hier geborene Migrantenkinder haben zum Beispiel ein stärkeres Aufenthaltsrecht als sonstige Ausländer. Und im Fall des einen Münchner U-Bahn-Schlägers, des Griechen, geht die Forderung auch ins Leere: Der genießt Freizügigkeit, weil Griechenland in der EU ist.

SPIEGEL ONLINE: Die "Bild"-Zeitung macht heute auf mit der Schlagzeile "Die Wahrheit über kriminelle Ausländer". Darunter steht die Behauptung "Sie werden schon in ihren Familien zu Kriminellen erzogen". Ist diese Tonlage noch zu rechtfertigen?

Laschet: Wer Menschen pauschal und nicht individuell beurteilt, hat immer unrecht. Wer weiß, wie sehr gerade viele Zuwandererfamilien ihre Kinder wertegebunden erziehen, kann solche Pauschalaussagen nur als Beleidigung auffassen. Sie vergiften das Klima und helfen keinem weiter. Jugendliche Straftäter, Deutsche oder Nichtdeutsche, bei denen die Erziehung versagt hat, brauchen einen konsequent handelnden Staat.

Das Interview führte Carsten Volkery

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