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Vor zwei Jahren wurde die junge Türkin Aylin Korkmaz (Foto r. mit Cem Özdemir) von ihrem Ehemann regelrecht massakriert: mit 26 Messerstichen fügte er ihr – vor allem in Gesicht und Hals – so tiefe und schwere Verletzungen zu, dass selbst die Ärzte hinterher sagten, es grenze an ein Wunder, dass sie überlebt habe (r.). Grund für die grausame Attacke: Aylin hatte nach jahrelangen Schlägen und Misshandlungen ihren Mann verlassen und dadurch seine „Ehre“ verletzt.

(Bericht von der Podiumsdiskussion am 29. März 2010 in der Urania Berlin zum Thema „Ehrenmorde“ und Zwangsheiraten in Deutschland)

16 Operationen hat sie in den letzten zwei Jahren hinter sich gebracht, weitere stehen an, um die Narben, die ihr Gesicht entstellen, zu verkleinern, trotzdem wird es nie wieder sein wie vorher. Und natürlich geht es nicht nur um die äußeren Narben, sondern auch um die seelischen Verletzungen, die Angst vor ihrem Ex-Mann und seiner Familie, die Enttäuschung über die Institutionen des deutschen Staates, von denen sie sich im Stich gelassen fühlt.

Doch Aylin Korkmaz will kein Opfer mehr sein, wie sie sagt, sondern kämpfen, deshalb hat sie ein Buch geschrieben („Ich schrie um mein Leben“/ Fackelträger-Verlag 2010), und deshalb saß sie am 29. März 2010 in der Berliner Urania auf dem Podium, neben Cem Özdemir, dem Bundesvorsitzenden der GRÜNEN und Serap Altinisik, Leiterin des Referates Häusliche Gewalt bei Terre des Femmes.

Bevor jedoch die Diskussion vor rund 200 Zuhörern eröffnet wurde, sprach die Integrationsbeauftragte des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, Gabriele Gün Tank ein Grußwort, in dem sie die Richtung vorgab, wie die Diskussion auf keinen Fall verlaufen dürfe: „Leider kommt es bei diesem Thema oft zu Pauschalisierungen und ethnisch-religiösen Stigmatisierungen.“ Auch bei Familientragödien in der Mehrheitsgesellschaft gehe es immer um die Ehre der Männer. „Gewalt kommt aus der Mitte der Gesellschaft und muss auch dort bekämpft werden.“

Erstes Thema der Runde, die von Heide Oestreich, Fachredakteurin für Geschlechterfragen bei der TAZ, moderiert wurde, war die skandalöse Begründung der Schwurgerichtskammer Baden-Baden, die Aylins Ex-Mann zu 13 Jahren Gefängnis verurteilte, ihm jedoch mildernde Umstände zubilligte, weil der – bereits seit 1978 in Deutschland lebende – Kurde stark in seinem kulturellen Umfeld verwurzelt sei. Dadurch lasse sich sein Besitzanspruch auf Aylin, mit der er in einer arrangierten Ehe (oder, stigmatisierend: „Zwangsheirat“) gelebt hatte, und sein gekränkter Stolz erklären, und deshalb könne man die Tat NICHT als „besonders verachtenswert“ einstufen.

Mittlerweile hat der Anwalt des Mannes beantragt, dass sein Mandant nach Ablauf der Hälfte der Strafe, also 2014, entlassen und in die Türkei abgeschoben werde soll, voraussichtlich wird diesem Antrag auch stattgegeben werden. „Wie kann es sein, dass türkische Staatsbürger nach so einer Straftat nur die Hälfte ihrer Strafe absitzen müssen?“, fragte die Moderatorin in die Runde.

Dies sei tatsächlich eine Verhöhnung des Opfers, meinte Özdemir. Statt auf mildernde Umstände zu erkennen, sollte man besser die Härte des Gesetzes voll ausschöpfen, als Signal an die Gesellschaft. Wer sage: „Ich musste das machen, weil ich Kurde bin“, der beleidige seine Kultur, seine Religion und seine Nation. Das Problem sei der Mann und die Gesellschaft, die solche Männer produziere. „Es geht hier um Jahrtausende alte Traditionen, gegen die nicht einmal Religionen ankommen.“

Wie kann nun Aylin Korkmaz geholfen werden? Sie wagt nicht mehr, in die Türkei zu fahren, denn die Familie ihres Ex-Mannes steht voll hinter ihm und findet, dass sie ihr Schicksal verdient habe. Erst kürzlich habe der Bruder des Mannes bei „Stern-TV“ gesagt, keiner verstehe, warum nicht Aylin im Gefängnis sitze. In der Türkei könne übrigens nach einer Gesetzesänderung in Fällen, in denen etwa ein Familienrat den jüngsten, noch strafunmündigen Sohn mit einem Mord beauftrage, der gesamte Familienrat verurteilt werden, warf Özdemir ein.

Sie sei gegen „Sippenhaft“, meldete sich Serap Altinisik zu Wort. Nötig sei vielmehr Aufklärungsarbeit über Menschen- und Frauenrechte in Schulen. Sie befürchte, sagte Aylin, ihr Ex-Mann werde sich nach seiner vorzeitigen Freilassung 2014 doch noch an ihr rächen wollen und mit falschem Pass nach Deutschland reisen.

„Was bieten Polizei, Gericht, Behörden Ihnen als Schutz an?“, fragte die Moderatorin. „Nichts“, erwiderte Aylin. Viele andere seien vor ihr und nach ihr auf ähnliche Weise getötet worden und hätten jetzt keine Stimme mehr. Ihr einziger Wunsch an die deutsche Justiz sei, dass die Strafen für solche Taten verschärft würden.

„Gibt es denn kein Opferschutzprogramm?“, fragte die Moderatorin.

Frau Altinisik runzelte die Stirn: Zu teuer, zu aufwändig, nicht zu empfehlen, denn die Betroffenen müssten eine neue Identität annehmen, umziehen und hätten viele Unannehmlichkeiten. Einen Schutz rund um die Uhr gebe es sowieso nicht. „Ich bleibe in Baden-Baden“, sagte Aylin. „Ich weiß jetzt, wie es ist zu sterben und habe keine Angst mehr vor dem Tod.“

Vor der Tat sei sie mit ihren drei Kindern oft zur Polizei gegangen und habe um Hilfe gebeten, doch habe sie sich nie ernst genommen gefühlt („Mein Mann hat gedroht, mich umzubringen!“ – „Ach was, das behaupten die oft.“). Manchmal sei sie völlig niedergeschlagen zu ihrem Mann zurückgekehrt und habe gedacht, nur totale Unterordnung könne sie schützen. Zudem habe er immer gesagt: „Ich schlage dich, weil ich dich liebe!“

„Wissen Sie, wann ich zum ersten Mal nach der Tat geweint habe?“, fuhr sie fort. „Als ich aus dem Krankenhaus nach Hause kam und meine Kinder aus dem Heim zu mir holen wollte. Da sagte man mir, dafür müsse ich die Zustimmung des Vaters einholen.“ Fassungslos habe sie daran erinnert, dass dieser Mann gerade versucht habe, sie umzubringen. So sei aber nun einmal die Rechtslage, hätten die Vertreter des Jugendamtes achselzuckend erklärt.

Auf dem Podium und im Publikum machte sich Betroffenheit breit. Konnte das wahr sein, dass Opfer von Ehrenmorden in Deutschland so allein gelassen wurden? „Rot-Grün hat das neue Gewaltschutzgesetz auf den Weg gebracht“, beruhigte Özdemir. „Die Gesetze sind ausreichend, wir müssen sie nur umsetzen.“

„Wieso wird hier immer von Ehrenmord geredet?“, fuhr eine muslimische Zuhörerin dazwischen. „Wie würden Sie denn sagen?“ fragte die erstaunte Moderatorin. „Mord, ganz normal: Mord“, zeterte die Frau. „Sonst ist das eine Diskriminierung von Muslimen, Islamophobie!“ „Darf man über „Ehrenmorde“ als separates Thema reden, oder ist das ethnisch diskriminierend und man sollte stattdessen alles unter „häusliche Gewalt“ zusammenfassen?“, wandte sich die Moderatorin ans Podium.

„In Spanien wird jede Woche eine Frau ermordet, und niemand redet von katholischen Ehrenmorden“, erwiderte Özdemir. „Keine Religion oder Kultur rechtfertigt Ehrenmorde! Der Begriff „Ehre“ gehört sowieso auf den Schrottplatz der Geschichte!“ Das Publikum klatschte. „Naja, einen Unterschied sehe ich schon noch“, gab Altinisik zu bedenken. „Bei „häuslicher Gewalt“ haben wir es normalerweise mit einer Beziehungstat zwischen zwei Partnern zu tun. Bei „Gewalt im Namen der Ehre“ steht oft die ganze Familie hinter der Tat.“

Der Moderatorin kam ein Geistesblitz: „Sind Sie eigentlich nie auf die Idee gekommen, in einer Moschee um Hilfe nachzusuchen?“ Aylin Korkmaz schüttelte den Kopf. „Arbeiten Sie mit Moscheen zusammen?“, gab die Moderatorin die Frage an die Vertreterin von Terre des Femmes weiter. „Die Katholische Kirche bemüht sich ja im Moment, die Missbrauchsfälle in ihren Reihen aufzuklären – gibt es in den Moscheen Aufklärungsarbeit über Ehrenmorde?“ „Ich finde die Zusammenarbeit mit den Moscheen wichtig“, betonte Serap Altinisik, „wobei ich persönlich da keine Erfahrungen habe. Ich weiß aber, dass Kolleginnen von mir schon mal vorgeschlagen haben, Workshops in Moscheen zu veranstalten.“

„Jeder Imam sollte aktiv gegen Frauenunterdrückung vorgehen!“, forderte Özdemir. „Die christlichen Kirchen haben ja sehr viele Angebote aufgebaut“, hakte die Moderatorin nach, „Frauenhäuser, Beratungsstellen und so weiter. Bei den Ehrenmorden müsste man aber vor allem Männerarbeit machen, oder?“ „Ich muss Ihnen sagen, dass für mich diese Arbeit in erster Linie Aufgabe des Staates ist“, widersprach die Terre-de-Femmes-Frau, „der Staat muss die entsprechenden Angebote machen!“

Nun durfte das Publikum Fragen stellen. Ein bärtiger junger Muskelmann erhob sich und polterte aggressiv los: „Wieso sitzt keine deutsche Frau dort vorn auf dem Podium? Die deutsche Gesellschaft hat genug eigene Probleme, zum Beispiel mit Pädophilie, die sollte sie erst einmal selber lösen! Außerdem schickt ihr eure Soldaten in islamische Länder, wo sie die Frauen vergewaltigen!“ „Wir sind eine gemeinsame Gesellschaft“, stellte Özdemir richtig, „mit einer gemeinsamen Werteordnung und einem Gesetz, das für alle gleichermaßen gilt!“

Ein Vertreter der Internationalen Liga für Menschenrechte meldete sich zu Wort und verlangte, Deutschland solle mit der Türkei über eine Regelung verhandeln, dass türkische Straftäter ihre Reststrafe dort verbüßen müssten, anstatt freigelassen zu werden. Außerdem verlangte er, türkische Imame müssten, bevor sie nach Deutschland geschickt würden, erst einen Kurs über die deutsche Kultur und Rechtsordnung absolvieren.

Die Antwort auf diesen Beitrag war Schweigen.

Ein junger Mann südländischer Abstammung stellte sich vor: „Ich gehöre zu der Gruppe „Heroes“, und wir betreiben genau diese Prävention und Männerarbeit an den Schulen, die vorhin gefordert wurde. Das ist allerdings keine Frage der Religion, wir greifen nicht den Islam an.“

Genau dies war es, was schwarz und drückend über der ganzen Veranstaltung lastete: das Tabu „Islam“. All die ungestellten Fragen: Woher kommt denn diese Auffassung von „Ehre“, woher der atavistische Irrglaube, die Frau sei selbstverständlicher Besitz des Mannes? Ist das wirklich „jahrtausendealte Überlieferung, gegen die sogar Religionen vergeblich ankämpfen“, wie Cem Özdemir meinte, oder könnte es nicht doch auch etwas mit dem Koran zu tun haben oder mit dessen Auslegung, wie sie jeden Freitag durch aus der Türkei importierte Imame in Deutschland erfolgt?

Seit Wochen wird in Deutschland lang und breit über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche diskutiert, und selbstverständlich wird auch gefragt, ob der Zölibat und die katholische Sexualmoral dabei eine Rolle spielen. Doch entsprechende, überaus naheliegende Fragen zum Islam im Zusammenhang mit „Ehrenmord“ oder „Zwangsheirat“ verboten sich an diesem Abend. Vom Podium wie auch aus dem Publikum wurde von Anfang an klargestellt, dass keinerlei Zusammenhang hergestellt werden dürfe, von wegen „Islamophobie“ oder „ethnisch-religiöser Stigmatisierung und Diskriminierung“.

PI war schwach vertreten und kam nicht zum Zuge. Vielleicht ist es auch vermessen zu glauben, man könne mit einer Handvoll Engagierter Veranstaltungen solcher Art beeinflussen oder gar „drehen“. An diesem Abend konnten wir nur zuhören, um einen gesellschaftlichen Zustand zu bezeugen, der zum Himmel schreit.

Hinterher dachte ich, dass Aylin Kolkmaz mit ihrem Gefühl vollkommen Recht hat: sie ist hier völlig allein. Zwar gibt es gratis jede Menge Mitleid und Entrüstung über den „bösen Mann“, dazu von den Özdemirs dieser BRD wohlfeile Allgemeinplätze und Phrasen ohne Realitätsbezug. Doch was wird wohl geschehen, wenn sich Aylins Mann tatsächlich irgendwann an ihr rächt? Ich fürchte, nichts. Außer ein paar Krokodilstränen der Phrasendrescher. Und präventivem „Islamophobie“- und „Diskriminierungs“-Geschrei der Islamlobby.

Die deutsche Gesellschaft – das war hier exemplarisch zu besichtigen – schläft einen tiefen, ungesunden Schlaf. Sie liegt im Koma und träumt davon, nicht mehr böse zu sein, sondern eine edle Kämpferin gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Alles angebliche Interesse an „fremden Kulturen“ ist vorgeschoben und dient nur dazu, „Weltoffenheit“ zu demonstrieren.

Was ist denn mit den zwei Millionen Russlanddeutschen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind und die auch Integrationsprobleme haben? Das Desinteresse der deutschen Gesellschaft an ihrem schwierigen Schicksal als Opfer zweier Diktatoren, an ihrer Kultur und Geschichte, an ihrer möglichen Brückenfunktion zum Osten, ihrer altertümlichen protestantischen Frömmigkeit ist mit Händen zu greifen. Oft werden sie als „die Russen“ diskriminiert. Aber hört man sie darüber klagen?

Was ist mit den christlichen Ägyptern und Irakern, die in Deutschland Schutz suchen vor der Verfolgung oder gar Ermordung durch aufgehetzte Moslems in ihren Heimatländern? Was mit den Aleviten, die in der Türkei WIRKLICH diskriminiert werden? Hat man je einen Vertreter dieser Minderheiten als „Tatort“-Kommissar gegen islamistische Hassprediger oder rechtsradikale „Graue Wölfe“ ermitteln sehen? Hat man je einen von ihnen in die zahllosen Talkshows und Laber-Runden eingeladen, um dort der deutschen Öffentlichkeit seine Sicht der Welt näher zu bringen?

Warum sieht man stattdessen überall nur beleidigte Islamvertreter, die sich in unverschämter Weise als „die neuen Juden“ stilisieren, Kopftuch-Funktionärinnen, die über eine „fehlende Willkommenskultur“ in Deutschland klagen und massenhaft deutsche Gutmenschen, die als nützliche Idioten der Islamverbände der „Mehrheitsgesellschaft“ Diskriminierung von Muslimen vorwerfen?

Der eine Grund ist die Angststarre besagter Gutmenschen, irgendjemand könnte ihnen „Rassismus“ vorwerfen und so ihr heiles Selbstbild beschädigen. Da können getrost jede Woche ein Dutzend Ehrenmorde oder auch „normale“ Messerattacken gegen „Christenschweine“ oder „Scheißdeutsche“ verübt werden, das ist diesen Leuten völlig gleichgültig, sie werden sich immer nur gegen denjenigen wenden, der es wagt, solche Taten in irgendeiner Weise mit dem Islam zu verbinden.

Der zweite Grund ist die reine Feigheit! Die deutsche Gesellschaft räumt dem durchsichtigen Geschrei und Opfergetue der Islamlobby nur deshalb soviel Raum ein, weil damit eine unausgesprochene Drohung verbunden ist: Reizt uns nicht mit Kritik, wir können auch anders, ihr seht es überall in der Welt, ihr seht es auch schon auf euren eigenen Straßen, außerdem werden wir immer mehr! Vor dieser Drohung kneift die deutsche Gesellschaft den Schwanz ein. Und gibt dazu noch ihre eigene erbärmliche Feigheit als „Zivilcourage“ gegen „Diskriminierung und Fremdenhass“ aus.

Solange diese unheilvolle Entwicklung nicht gestoppt wird, wird es immer mehr Aylins in Deutschland geben. Und sie werden keine echte Hilfe zu erwarten haben.


Dieser Beitrag ist am 2. April 2010 bei PI-News erschienen