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Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und ehemaliger CDU-Generalsekretär, referierte am 21. März 2011 auf Einladung des Deutsch-Türkischen Forums der Berliner CDU zum Thema „Die Türkei, ein Mitglied für die EU und ein Modell für die arabische Welt“. Schnell wurde klar, dass dies eigentlich eine Werbeveranstaltung für ein von ihm selbst verfasstes Büchlein sein sollte, das stapelweise zum Kauf von 10 Euro bereit lag und in dem er seinen Herzenswunsch formuliert: „Besser für beide – Die Türkei gehört in die EU“.

(Von Bärchen, PI-Gruppe Berlin)

20 solcher Veranstaltungen habe er bereits absolviert, erklärte Polenz, er freue sich nach Vorstellung der Grundthesen seines Buches auf eine spannende Diskussion. Und tatsächlich sollte die Diskussion sehr spannend werden. Konnte man den ersten Teil der Veranstaltung als „Ruprechts Märchenstunde“ abhaken, tobte im zweiten Teil eine CDU-interne Schlacht der Argumente, die für Polenz und das Deutsch-Türkische Forum in einem Desaster endeten, wie man es für einen amtierenden Politiker selten erlebt hat. Doch von Anfang an.

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Gekommen waren etwa 50 Besucher, die Hälfte davon türkischer Abstammung – dem Anschein nach gut betuchte Geschäftsleute sowie einige Jungfunktionäre – die andere Hälfte deutschstämmige CDU-Mitglieder oder –Sympathisanten, außerdem drei Mitglieder der PI-Gruppe Berlin, die einmal versuchen wollten zu verstehen, wieso sich Polenz seit Jahren mit derartiger Vehemenz für einen EU-Beitritt der Türkei starkmacht, obwohl sich seine eigene Partei wie auch 80-90 Prozent der deutschen Bevölkerung in Umfragen regelmäßig klar dagegen aussprechen.

 Auf Volkshochschulniveau

Großspurig begann Polenz, er habe in seinem Buch alle nur denkbaren Gegenargumente gegen den türkischen EU-Beitritt aufgelistet und sie allesamt entkräftet. Wer ein Gegenargument bringe, das er nicht entkräften könne, der habe „was gut“ bei ihm. Entsprechend gespannt waren wir auf seine Beispiele, und umso größer war die Enttäuschung, als er eine Gegenüberstellung auf Volkshochschulniveau präsentierte: Gegenargument: Die Türkei ist doch viel zu groß, die Balance innerhalb der EU geht kaputt. Entkräftung Polenz: Seit dem Vertrag von Lissabon sind Mehrheitsentscheidungen möglich, auch die Türkei muss sich da einfügen; außerdem gab es vor dem EG-Beitritt von Großbritannien vor 50 Jahren ähnliche Bedenken wie heute bei der Türkei.   Gegenargument: Die Türkei gehört nicht in die EU, ist kulturell-religiös zu verschieden. Entkräftung Polenz: Es ist sehr gefährlich, die Identität von Menschen nur auf den Faktor Religion zurückzuführen, das führt automatisch zur Konfrontation. Daher die Botschaft (zum Mitschreiben, wie Polenz betonte): „Wir sind auf mannigfaltige Art verschieden, deshalb haben wir auch auf mannigfaltige Art Gemeinsamkeiten.“ Und was das „christliche Abendland“ angehe, so sei die heutige Türkei bis ins 10. Jahrhundert hinein auch christlich gewesen, sogar der Heilige Nikolaus stamme aus Myra in der heutigen Türkei. Mit einer Ausgrenzung der Türkei würden wir daher unsere eigenen Wurzeln ausgrenzen.  

Türkei-Beitritt? Null Problemo!

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Nun kam Polenz auf die deutsche Innenpolitik zu sprechen. Warum, sinnierte er, falle uns eine faire Integrationsbilanz so schwer? Ganz einfach: Weil niemand über die vielen erfolgreich Integrierten rede. „Probleme fallen auf, Lösungen nicht.“ Deshalb sei die Sarrazin-Debatte auch so unfair gelaufen. Viele Menschen in Deutschland glaubten: Wir haben eine Menge Probleme mit den eingewanderten Türken, also bekommen wir bei einem Beitritt der Türkei noch mehr Probleme. Auch diese Menschen könne er jedoch beruhigen, denn die Gründe, wieso Türken ausgewandert seien – wirtschaftliche Gründe und Menschenrechte – fielen ja bei einem EU-Beitritt der Türkei weg, da eine starke Wirtschaft und respektierte Menschenrechte Beitritts-Voraussetzungen seien. Im Übrigen könne jedes EU-Land lange Übergangszeiten vereinbaren.

Der türkische EU-Beitritt bringe allen Seiten nur Vorteile: der Türkei, weil Europa eine „Leitplanke“ sei, damit diese nicht in übersteigerten Nationalismus und Islamismus abgleite. Für Europa, weil die Türkei eine wichtige „Energiebrücke“ sei und dabei helfe, aus der Abhängigkeit vom russischen Erdöl loszukommen. Zudem könne die EU über die Türkei besser die Krisenregionen Kaukasus und Naher Osten beeinflussen. Nicht zuletzt werde bei einem Beitritt der Türkei das europäische Modell von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten auch für islamische Länder interessant. Und die EU habe wiederum die Chance, ein „neues Selbstverständnis zu entwickeln und alte Selbst- und Fremdzuschreibungen zu überwinden“.

Nach diesem Phrasen-Feuerwerk wie aus einer Hochglanzbroschüre durfte das Publikum ran. Moderator Ertan Taskiran gab den gewünschten Tonfall vor: viele Menschen seien ungeduldig und wüssten nicht, was denn die Türkei noch alles tun müsse, um endlich eine klare Beitrittsperspektive zu erhalten. Die offizielle CDU-Linie, die nur eine „privilegierte Partnerschaft“ vorsehe, sei daher immer schwerer vermittelbar. Ja, erwiderte Polenz, zwar werde seine Position in der CDU nur von einer Minderheit geteilt, interessanterweise aber auch von den meisten CDU-Oberbürgermeistern deutscher Großstädte, denn die wüssten, dass viele Türkischstämmige sich persönlich abgelehnt fühlten, wenn man „ihr Land“ nicht wolle.

Aufruhr an der CDU-Basis

Was nun geschah, war erstaunlich und wohl von niemandem so erwartet worden. Das Publikum revoltierte. Fast 20 Fragen wurden gestellt bzw. Anmerkungen gemacht, die ausnahmslos ihr Missfallen an der von Polenz vertretenen Position ausdrückten. Anfangs erwies dieser sich dabei als äußerst geschmeidig, nickte zu allen Bedenken, behauptete, er wisse das alles genau, und gerade deswegen müsse ja die Türkei in die EU. Doch am Ende verlor er die Beherrschung.

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Publikum: Bei vielen Türken gibt es eine starke Abgrenzung gegen andere Kulturen und Religionen, Konvertieren zum Christentum wird als Todsünde angesehen, ohne dass der türkische Staat dem entgegenwirkt. Vor 100 Jahren gab es noch 20 Prozent Christen in der Türkei, heute unter 1 Prozent.

Giftiger Rundumschlag einer jungen türkischen CDU-Funktionärin: Es ist sehr schade, dass hier Islam und Islamismus gleichgesetzt werden. Die Türkei achtet die Frauenrechte, lange vor Frau Merkel war in der Türkei eine Frau Regierungschefin. Wieso regen sich alle über die Türkei auf und niemand über so korrupte Länder wie Bulgarien und Rumänien?

Polenz: Es gibt seit dem Mittelalter in Europa eine historische Türkenfurcht. Aber auf Seiten der Osmanen haben auch protestantische Ungarn gegen die Habsburger gekämpft. Daher kommt unser Ausdruck „Kruzitürken“. Ich kenne die Situation der Christen in der Türkei sehr gut und weiß, dass sie nicht zufriedenstellend ist. Doch der einzige Hebel, um sie zu verbessern, ist der EU-Beitritt.

Publikum: Eine Türkin hat neulich zu mir gesagt: Wenn ihr die Türkei nicht aufnehmt, seid ihr gegen mich! So etwas höre ich oft, und das zeigt mir, dass eine Integration der hier lebenden Türken nicht stattgefunden hat.

Polenz: Wir müssen uns auch mit unserer eigenen Migration, etwa in die USA, beschäftigen. Bis heute pflegen die Nachkommen der deutschen Siedler ihre Bräuche und essen Bratwurst. Man kann also zwei Länder lieben.

Türkische CDU-Funktionärin: Der türkische Nationalismus hat historische Ursachen. Im Westen wird das Individuum geschützt, in der Türkei die Nation. Das muss man wissen.

Publikum: Ich bin erschrocken darüber zu hören, dass die Türkei beleidigt ist, weil man ihr „nur“ eine privilegierte Partnerschaft anbietet. Und ich verstehe nicht, wieso hier behauptet wird, der türkische Nationalismus habe historische Ursachen, aber mit keinem Wort gesagt wird, dass dieser Nationalismus überwunden werden muss.

Türkische CDU-Funktionärin: Wieso denn auch?

Publikum: In der Türkei darf kein Christ ein staatliches Amt bekleiden oder Offizier werden. Die Türkei hat zusammen mit den anderen islamischen Ländern die Kairoer Erklärung der Menschenrechte unterschrieben, die die Menschenrechte der Scharia unterordnet.

Polenz: Die Scharia ist ja kein unveränderlicher Kanon. Auch im Privatrecht wenden wir Schariarecht an, wenn es mit der Werteordnung unseres Grundgesetzes übereinstimmt.

Publikum: Ich bin Mitglied der Gesellschaft für bedrohte Völker: Wo sind denn die Armenier, Aramäer und Assyrer, die in der Türkei gelebt haben? Alle weg! Und heute droht Erdogan den paar verbliebenen Armeniern eine erneute Vertreibung an. Die Türkei muss sich für ihr Handeln verantworten.

Kopftuchfrau im Publikum: Das ist alles nicht wahr!

Polenz: Das Bewusstsein in der Türkei ist noch nicht so weit. Aber es gibt im Internet ermutigende Basisinitiativen, die sich mit der Geschichte der Armenier auseinandersetzen.

Publikum: Sollte die EU dann nicht auch die Ukraine oder Russland aufnehmen? So könnte sie ebenfalls ihre Energieversorgung sichern und Einfluss auf die Krisengebiete im Kaukasus und im Nahen Osten nehmen.

Polenz: Die Türkei hat ein längeres Anrecht auf die Mitgliedschaft, die Ukraine und Russland wollen gar nicht.

Publikum: Ich habe gelesen, dass Erdogan gesagt hat: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“

Polenz: Erdogan und seine Partei AKP haben sich sehr verändert. Die AKP sagt heute: Wir sind so etwas wie die CDU auf muslimisch. Deshalb gibt es auch eine Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien auf Bundesebene.

Publikum: Herr Polenz, Sie sind doch eigentlich ein deutscher Politiker, der den Anspruch hat, Politik zum Wohle des deutschen Volkes zu machen. Warum respektieren Sie den Wunsch des Volkes nicht, das einen EU-Beitritt der Türkei nicht will? Da könnten Sie doch genauso gut Politik im türkischen Parlament machen.

Zwischenruf eines Jugendfreundes von Herrn Polenz im Publikum: So hat Goebbels geredet!

Polenz: Und Sie sind das deutsche Volk, ja? Selbstverständlich vertrete ich deutsche Interessen! Kein Land hat von der europäischen Einbettung so sehr profitiert wie Deutschland, auch durch den Vertrauensvorschuss nach dem zweiten Weltkrieg!

Furioses Finale

Nach diesem Beitrag wurde es turbulent. Etliche Besucher riefen durcheinander, und auch um Polenz´ Selbstbeherrschung war es geschehen: Er merke wohl, sagte er deutlich aufgebracht, dass die Integration in Berlin viel schlechter gelöst sei als in westdeutschen Städten, wolle aber der Berliner CDU Folgendes ins Stammbuch schreiben: Kein CDU-Bürgermeister werde mehr in einer Großstadt gewählt, wenn er sich nicht um seine türkischstämmigen Wähler bemühe. Jeder hier müsse sich fragen, wie werbewirksam für die türkischstämmigen Mitbürger an diesem Abend einige Beiträge gewesen seien. Als daraufhin wieder empörte Zwischenrufe ertönten, wurde Polenz laut: „Mein Güte, ich opfere hier einen Abend, um der CDU in Berlin auf die Sprünge zu helfen, habe extra meinen alten Jugendfreund aus Münster zu dieser Veranstaltung eingeladen und muss mir dafür so etwas anhören! Sind wir hier noch alle in einer Partei, oder nicht? Wenn Sie so weiter machen, werden Sie bei den nächsten Wahlen nur noch auf dem vierten Platz landen!“

Mit dieser Publikumsbeschimpfung endete die Veranstaltung. Kein Schlussapplaus, nur konsternierte Blicke der CDU-Türken und empörtes Gemurmel der Deutschen sowie händeringendes Entsetzen bei Moderator Ertan Taskiran, der wohl auch nicht verstand, wie die geplante Friede-Freude-Eierkuchen/Börek-Veranstaltung so hatte entgleisen können.

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„Der war früher bei Mili Görüs“, flüsterte ein vor mir sitzendes Mitglied der Jungen Union seinem Nachbarn zu. Als ich zum Ausgang ging, sprach ich den Moderator darauf an: „Stimmt es, dass Sie früher bei Mili Görüs waren?“ – „Ja, na und?“

Dann gingen wir die Treppe hinunter zum Ausgang, hinter mir der junge Mann von der Jungen Union und Polenz, und ich hörte, wie der Jüngere sagte: „Herr Polenz, Sie haben sich ja wirklich sehr weit von den tatsächlichen Problemen der Bevölkerung entfernt. Ich biete Ihnen einen privaten Rundgang durch einige Berliner Bezirke an, damit Sie mal selbst sehen, wie schlecht leider die Integration im Alltag funktioniert.“ – „Was Sie da behaupten!“, brauste Polenz ein letztes Mal auf und wies mit dem Finger hinter sich: „Die sind doch alle phantastisch integriert!“

Das hatte ich allerdings vorher auch gedacht: dass wenigstens die CDU-Türken einigermaßen integriert seien. Dieses Vorurteil lässt sich jedoch nicht aufrechterhalten. Unter den 20 türkischstämmigen CDU-Mitgliedern war nicht Einer, der bei der Diskussion auch einmal Versäumnisse des türkischen Staates oder Fehler der eigenen (ehemaligen?) Landsleute bei der Integration in Deutschland eingeräumt hätte. Stattdessen: eiserne Verteidigung der türkischen Politik, Anprangerung deutscher Vorurteile, viele böse Zwischenrufe, wenn ein deutscher Fragesteller Kritisches anzumerken hatte. Bei dem „Deutsch-Türkischen Forum“ scheint es sich um nichts anderes als Erdogans fünfte Kolonne zu handeln. Und leider weisen auch die (zumindest die an diesem Abend anwesenden) Türken in der CDU wie überdurchschnittlich viele ihrer Landsleute einen eklatanten Mangel an Selbstkritik und Empathie auf sowie die Tendenz, sich persönlich beleidigt zu fühlen, wenn ihr (ehemaliger?) Staat oder der Islam kritisiert werden.

Das Zusammenspiel von atemberaubender Naivität und Ignoranz sowie skrupellosem Machtinstinkt, das Ruprecht Polenz an diesem Abend offenbarte, lässt sich nur noch als schizophren bezeichnen. Da dies alle Anwesenden gemerkt haben, hat er seinem Herzenswunsch einen Bärendienst erwiesen. Als Gegner eines EU-Beitritts der Türkei sollte man sich daher wünschen, dass Polenz die Promotion-Tour für sein Buch noch möglichst lange fortsetzt. Trotzdem schmerzt es, aus nächster Nähe miterleben zu müssen, wie die „Eliten“ ticken, die seit Jahren die Geschicke unseres Landes bestimmen und jetzt dabei sind, es gegen die Wand zu fahren.

Bleibt eine allerletzte Frage: Was haben die etwa 20 einfachen Parteimitglieder, die aus Interesse am Thema erschienen waren, eigentlich noch in der CDU verloren? Mitten im Wahljahr scheint die Berliner CDU in rasantem Tempo zu zerfallen. Das könnte für diese Partei noch sehr gefährlich werden, zumal sich – gerade in Berlin – mit der FREIHEIT momentan eine Alternative aufstellt, die vom CDU-Schlingerkurs verstörten Wertkonservativen eine neue Heimat bieten könnte.

» ruprecht.polenz@bundestag.de


Dieser Beitrag ist am 21. März 2011 bei PI-News erschienen


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